Loading

Werden Menschen zwischen 55 und 64 Jahren zur Darmspiegelung (Koloskopie) eingeladen, senkt das ihr Risiko für Darmkrebs. In einer großen Studie blieb die Effektivität der Screeningmethode aber hinter den Erwartungen zurück. Daraus gilt es jetzt, Lehren zu ziehen.

Bei einer Koloskopie wird der gesamte Dickdarm mit einem rektal eingeführten Endoskop auf Darmkrebs untersucht. Dabei kann der Untersucher nicht nur Tumoren entdecken, sondern auch Krebsvorstufen (Polypen) direkt entfernen. Daher lassen sich mit Koloskopien Darmkrebs-Neuerkrankungen und auch darmkrebsbedingte Todesfälle verhindern, bei Männern noch mehr als bei Frauen.

Wie groß das Potenzial der Screeningmethode dabei ist, hängt allerdings von verschiedenen Faktoren ab. Der wichtigste ist die Teilnahmerate, denn es ist sonnenklar, dass nur bei denjenigen Darmkrebs per Koloskopie gefunden oder verhindert werden kann, die sich der Untersuchung überhaupt unterziehen. Wichtig ist zudem, dass die koloskopierenden Ärzte gut darin sind, verdächtige Strukturen zu entdecken. Diese Fähigkeit lässt sich anhand der Adenom-Erkennungsrate (ADR) quantifizieren, die laut geltender Empfehlung nicht unter 25 Prozent liegen sollte.

Angesichts dieser Einschränkungen wollten Forscher aus mehreren europäischen Ländern herausfinden, wie gut die Koloskopie als Screeningmethode »im echten Leben« funktioniert. Sie gründeten die Nordic-European Initiative on Colorectal Cancer (NordICC), im Rahmen derer zufällig ausgewählte Personen zwischen 55 und 64 Jahren in PolenNorwegen, Schweden und den Niederlanden zwischen 2009 und 2014 einmalig zu einer Koloskopie eingeladen wurden. Während einer Nachbeobachtungszeit von median zehn Jahren wurden dann Darmkrebs-Neuerkrankungen und -Todesfälle bei diesen Personen sowie bei doppelt so vielen Kontrollen, die nicht zur Darmspiegelung eingeladenen worden waren, erfasst.

Weniger Krebserkrankungen und krebsbedingte Todesfälle

Im »New England Journal of Medicine« referieren die Autoren um Dr. Michael Bretthauer von der Universität Oslo die Ergebnisse. Demnach konnten die Daten aus den Niederlanden aus datenschutzrechtlichen Gründen infolge der europäischen Datenschutz-Grundverordnung nicht berücksichtigt werden, sodass letztlich 84.585 Teilnehmer aus PolenNorwegen und Schweden ausgewertet werden konnten. Von diesen waren 28.220 zur Koloskopie eingeladen worden und 11.843 (42 Prozent) waren der Einladung gefolgt. In der Nachbeobachtungszeit kam es in der Eingeladenen-Gruppe zu 259 Darmkrebsfällen und in der Vergleichsgruppe zu 622.

Das Zehn-Jahres-Risiko für Darmkrebs betrug in der Vergleichsgruppe 1,20 Prozent und in der Interventionsgruppe 0,98 Prozent, was einer Risikoreduktion um 18 Prozent entspricht. Das Risiko, innerhalb von zehn Jahren an Darmkrebs zu sterben, lag in der Eingeladenen-Gruppe bei 0,28 Prozent und in der Kontrollgruppe bei 0,31 Prozent. Somit mussten zur Verhinderung eines darmkrebsbedingten Todesfalls 455 Personen zum Screening eingeladen werden.

Damit ist ein Vorteil durch diese Früherkennungsuntersuchung erkennbar, der jedoch deutlich hinter den Erwartungen zurückbleibt. Das räumen die Autoren offen ein und nennen dafür mögliche Gründe. Einer davon ist die Teilnahmerate: Hätten alle Eingeladenen die Koloskopie in Anspruch genommen, wäre das Erkrankungsrisiko laut ihren Berechnungen von 1,22 auf 0,84 Prozent (um 31 Prozent) und das Sterberisiko von 0,30 auf 0,15 Prozent (um 50 Prozent) gesunken.

Das ist zwar schon mehr als die tatsächlich gesehenen Risikoreduktionen, aber immer noch weniger als erwartet. Denn wenn die Koloskopie das Darmkrebsrisiko tatsächlich nur um 31 Prozent senken würde, wäre sie kaum besser als die Sigmoidoskopie, eine Darmspiegelung lediglich des Mastdarms und des letzten Teils des Dickdarms, die laut Studien das Darmkrebsrisiko um bis zu 24 Prozent senkt. Eine Sigmoidoskopie wäre dann womöglich der deutlich invasiveren und für den Patienten stärker belastenden Koloskopie vorzuziehen.

Viele Vorbehalte schränken Aussagekraft ein

Um das tatsächlich aus dieser Studie abzuleiten, hat sie aber noch zu viele weitere Vorbehalte. Eines davon ist eine auffällig hohe Darmkrebs-Erkennungsrate bei den Koloskopien in Polen. Dies lasse sich laut den Autoren womöglich damit erklären, dass sich in diesem Land Personen, die bereits selbst den Verdacht hatten, dass sie an Darmkrebs erkrankt sein könnten, verstärkt zur Teilnahme an dem Screening bereit erklärt hätten. Sollte das der Fall gewesen sein, hätte das die Ergebnisse zuungunsten des Screenings verfälscht.

Eine weitere Einschränkung ist die für eine Studie zur Krebsentstehung relativ kurze Nachbeobachtungszeit von zehn Jahren. Die Autoren vermuten zu Recht, dass die Vorteile der Koloskopie über einen längeren Zeitraum wahrscheinlich deutlicher sichtbar würden.

Schließlich weist eine Gruppe um Dr. Jason Dominitz von der Veterans Health Administration in Washington DC in einem begleitenden Editorial auch noch darauf hin, dass die Qualität der Koloskopien in dieser Studie womöglich nicht überall gleich gut war. Laut einer früheren Publikation hätten 29 Prozent der NordICC-Studienärzte eine ADR unter 25 Prozent gehabt.

Somit lässt sich zusammenfassend sagen, dass der hier gesehene Vorteil durch die Koloskopie als Screeningmethode in seinem Ausmaß wahrscheinlich eine Unterschätzung darstellt. Um das Potenzial besser auszuschöpfen, sind Maßnahmen zur Verbesserung der Teilnahmerate vonnöten – auch in Deutschland, wo sich Frauen zwischen 55 und 64 Jahren und Männer zwischen 50 und 64 Jahren innerhalb von zehn Jahren zweimal einer Koloskopie zur Darmkrebs-Früherkennung unterziehen können. Laut einer Auswertung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) nahmen dieses Angebot zwischen 2009 und 2018 lediglich 35 Prozent der Männer und 47 Prozent der Frauen wahr (DOI: 10.20364/VA-20.02). Überaus wichtig ist zudem, dass diejenigen Ärzte, die Darmspiegelungen machen, dabei über genügend Erfahrung verfügen.

_______